Macht – Symbolik der Haare

Februar diesen Jahres kursierte ein Video über ein japanisches Pop Idol, das sich die Haare abrasierte, um sich selbst für einen Fehler zu bestrafen. Palash Ghosh schrieb dazu einen Artikel, der exemplarisch die Geschichte von Haarschur als Bestrafung und Erniedrigung beleuchtet. In den meisten Fällen entledigen sie sich nicht selbst der Haare, sondern wird Ehebrecherinnen, SklavInnen oder sonstigen VerbrecherInnen das Haupthaar als äußeres Zeichen ihrer Schuld entfernt. Folglich war (und ist) die Haarlänge ein Symbol der Macht und Unterdrückung. Aus der Praxis der Unterdrückung etablierte sich bald ein Nutzen für höher gestellte Herrinnen (aber auch Herren), die sich bis ins Mittelalter ihre Perücken und Haarteile aus den Locken ihrer Untertanen machten, wie Zitate aus Bryer’s The History of Hair belegen:

[In ancient Rome, a] slave would have his head shaved an, understandately, grow back his hair on obtaining his freedom. [S. 25]
[Same in the Middle Ages:] Just as a maid might lose her hair to her mistress, so might a page. [S. 30]

Diese Verbindung von langen Haaren und Macht hat mehrere Gründe, zum Beispiel die lang andauernde Etablierung eines Ausdrucks von sozialen Hierarchien. So finden sich etliche Beispiele von gesellschaftlicher Machtausübung oder -ausdruck über die Haarlänge. Denn generell galt der kurz Geschnittene meist als Repräsentant der unter(geben)en Schicht, während langes Haar eine gewisse Sonderstellung kennzeichnete. Durchlaufen wir zum Beispiel die letzten 3000 Jahre westlicher Kultur aus haariger Perspektive:

  • Ungeschnittenes Haar galt griechischen Männern wie Frauen seit dem 1. Jt. v. Chr. als Zeichen der Freiheit. So hielten es auch alle weiteren Gesellschaften Europas in dieser Zeit.
  • Im römischen Reich galten lange Haare bei Männern vor allem als Zeichen der „Barbaren“ und wurden daher lange Zeit gemieden.
  • Durch das Christentum und nach dem allmählichen Verfall des römischen Imperiums folgten klare Zuteilungen der Frisuren: die Adelige Mähne, die geschnittenen Pagenköpfe und die „g’scherten“ Leibeigenen. Dies hält sich mit modischen Abweichungen bis in das 18. Jh.
  • Napoleon’s Reich wiederholte römische (militante) Strukturen und man trug das Haar unabhängig von der sozialen Stellung kürzer. Diese Mode breitet sich nach und nach über ganz Europa aus und hält sich mit hartnäckig in vielen Gesellschaften und vor allem in totalitären System.
  • Erst ab der Nachkriegszeit und speziell in den 1960er begannen Männer (und Frauen) ihre Haare offen und lang zu tragen ohne jedoch die ganze Gesellschaft zu betreffen oder eindeutige Strukturen zu reflektieren.

Die Gründe hierfür sind sehr komplex und viele davon habe ich bereits in den vorigen Beiträgen genannt, wie zum Beispiel die Emotionalität. Ein banaler Grund liegt in den finanziellen Möglichkeiten und der Arbeitsaufteilung, denn lange Haare kosten viel und stören bei der Arbeit. Doch dies reflektiert im kapitalistischen System bereits Macht, denn die Mächtigen sind reicher (oder müssen wenigstens den Anschein wahren reich zu sein) als deren Untertanen. Aus dieser Dualität ergab sich auch das symbolische Ritual des Haarschnitts als Entmächtigung oder Degradierung. Denn der Verlust des langen Zopfes versetzte jemanden auch äußerlich in eine niedrigere Schicht. So sind auch die Schur beim Eintritt ins Militär oder damals ins Konzentrationslager ein äußeres Merkmal für die unterste Rangordnung vereint mit der emotionalen und identifikatorischen Verstümmelung.
Der Soziologe Hallpike geht sogar weiter und nennt den Haarschnitt ein Hilfsmittel zur „social control“ und langes Haar sei folglich ein Zeichen für „being outside society“. Dazu muss man bedenken, dass sein Artikel 1969 erschienen ist – ein Jahr nach den Studentenrevolten und dem Höhepunkt der Konflikte zwischen Hippies und Konservativen. Im allgemeineren Kontext der Geschichte betrachtet, ist die Abgrenzung der gesellschaftlich „diktierten“ Haarlänge, ob barbarische Mähne oder feministischer Bubikopf, Zeichen für Außenseiter und Unangepasste, bis hin zu Revolutionären.
Wenn man die historische Auflistung und die eben genannten Gründe zusammenführt, stellt sich mir die Frage: Warum unterscheiden sich die Machtträger von den Untertanen in totalitären oder militärischen System nicht durch langes Haar? Steht dies einzig in Verbindung mit der Rationalität und Repression der Emotionen, die ich im letzten Teil ausgeführt habe? Oder reflektiert die Haarlänge der Herrscher die unterschiedliche Machtverteilung in straff organisierten Militärdiktaturen und Monarchien oder individualistischen Demokratien?

Ein letztes Beispiel oder eigentlich mehr eine These betrifft die Religion. Es ist bekannt, dass bis auf wenige Ausnahmen die Glaubensträger(innen) und besonders … sich das Haupthaar scheren oder – wie im Falle der Nonnen – wenigstens bedecken. Dadurch differenzieren sie sich nicht nur von der Masse ab sondern der Akt des Haare Lassens symbolisiert gleichzeitig ihre Aufopferung, Entsagung des Weltlichen (Liebe, Besitz, …) und sündiger Laster (Stolz, Eitelkeit, …). Doch ist es auch ein Machtsymbol, denn wirken und weilen sie nicht im Dienst einer Gottheit unter uns Sterblichen? Folglich sind langhaarige Gottheiten nicht nur eine historische Begebenheit, sondern eine Konsequenz der Macht-Haar-Symbolik. Seltene Ausnahme wäre hier der kahle Buddha, der zwar auch haarlose Anhänger bevorzugt, aber sich mit ihnen auf eine Stufe stellt.

Bryer, R. The History of Hair: Fashion and Fantasy Down the Ages. Philip Wilson Publishers. 2003.
Hallpike, C. R. Social Hair. In: Man, New Series, Vol. 4, No. 2 (Jun., 1969), S. 256-264.

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