NetzLW21

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Anfang September durfte ich auf der Konferenz NetzLW21 einen Pitch über literarisches Kapital 2.0 halten. Nun ist das Video auch verfügbar. Es ging um literarisches Kapital nach Pierre Bourdieu und wie Soziale Medien dieses veränderten bzw. welche Regeln weiterhin Gültigkeit besitzen. Hierbei knüpfe ich an Überlegungen aus meinem Essay Soziales Kapital & Soziale Medien an.

Fünf Minuten um dem hochkarätigen Kreis an Wissenschaftler:innen die vielen spannenden Aspekte dieses Themenkomplexes vorzustellen. Das war eine ganz schöne Herausforderung – vor allem, da durch die vorhergehenden Beiträge das Niveau hochgehalten wurde. Außerdem legten Diskussionsfragen nach der Wertschöpfung in einer Gratis-Content-Kultur bereits etliche Brücken zu meinem Pitch. Am zweiten Tag der NetzLW21 war es dann soweit! Hier sind die Pitches zum Nachschauen und darunter nochmal die offizielle Beschreibung:

NetzLW21: Mein Pitch startet bei 19:53, aber es lohnt sich auch die anderen Projekte und die Reflexion anzuschauen.

Die offizielle Beschreibung

Das von Pierre Bourdieu vor drei Jahrzehnten als „Grad der feldspezifischen Konsekration (des literarischen und künstlerischen ‚Prestige‘)“ definierte literarische Kapital wurde im Zuge der Digitalisierung und insbesondere durch die Sozialen Medien in Struktur, Form und Werterelationen verändert beziehungsweise von literarischem Kapital 2.0 ergänzt. Das im literarischen Feld dominante soziale Kapital, also Anerkennung von anderen AkteurInnen, wurde durch Bewertungszahlen, Reichweite, Likes etc. quantifizierbar, manipulierbar, wie durch Clickbots, und relational (Rankings). Der Transfer in ökonomisches Kapital erfolgt immer einfacher und effizienter, wie bei Verlagsverträgen oder Sponsoring.

Diese neuen Formen reflektieren jedoch immer auch die Strategien und Regeln der PlattformbetreiberInnen und sind durch deren Willkür volatil. Auf der anderen Seite veränderte sich die Machtstruktur der Konsekration. Bisherige MeinungsbildnerInnen (Verlage, KritikerInnen, AutorInnen und WissenschaftlerInnen) verloren gegenüber der ‚Schwarmintelligenz‘ der RezipientInnen, Algorithmen der Plattformen, der Dynamik von Communities und neuen AkteurInnen (Influencern) an Relevanz. Hinzu kommt das essentielle, aber etwas marginalisierte kulturelle Kapital (Bildung und Wissen). In seiner digitalen Ausprägung findet es sich objektiviert in Algorithmen, technischer Innovation und Produktionsmitteln, oder inkorporiert als digital skills.

So neuartig das digitale Kapital erscheint, folgt es aber auch partiell den Bourdieuschen Regeln, wie die förderliche Homogenität einer Gruppe oder Distinktionsmechanismen. Paradigmatisch findet die Verschleierung der Monetarisierung, die Bourdieu beim sozialen Kapital erkennt, auch in Sozialen Medien statt, wie durch Affiliate-Links, Sponsoring oder einfach nur die Macht der Konsekration anderer KollegInnen. So führte Facebook sogar die Funktion ein, seine Freunde zu verbergen. Doch eigentlich liegt die Stärke der community als soziales Kapital gerade in ihrer Transparenz. Denn jede/r kann jederzeit einsehen, dass jemand mit 600.000 Follower bedeutend ist.

Wie diese erste Skizze demonstriert, bietet der Vergleich des analogen und digitalen literarischen Kapitals aus feldtheoretischer Perspektive ein konstruktives Verständnis für die Erfolgs- und Legitimationsmechanismen im literarischen Feld.

NetzLW21 oder „Netzliteraturwissenschaft: Was wissen wir? Wie wissen wir? Was wollen wir wissen?“

Soweit zu mir, aber noch interessanter waren die vielen Beiträge. Diese sind alle im Youtube-Kanal verfügbar und über #NetzLW21 auf Twitter kommentiert wurden. Außerdem möchte ich noch auf das ehrgeizige Projekt des Kurators Prof. Dr. Thomas Ernst verweisen, die Netzliteraturwissenschaft akademisch zu institutionalisieren und deren Wissenschaftler:innen eine Plattform zu bieten. Also worum ging es eigentlich auf der Konferenz NetzLW21? Hier lasse ich den Kurator selbst antworten:

Auf der Konferenz geht es darum, verschiedene Arbeitsbereiche einer Netzliteraturwissenschaft abzugrenzen, bisherige Erkenntnisse zu bündeln, nach Desideraten zu fragen, methodologische und begriffliche Standards und mögliche Formen der Zusammenarbeit zu diskutieren. Dabei werden zunächst grundsätzliche Fragen der Geschichte und Gegenwart sowie der Abgrenzung einer Netzliteraturwissenschaft reflektiert, unter anderem einleitend vom Kurator der Konferenz und von Christiane Heibach (Regensburg) und Jörgen Schäfer (Siegen), die schon vor zwei Dekaden zu Fragen der Netzliteraturwissenschaft geforscht haben, sowie von Svenja Hagenhoff (Erlangen-Nürnberg) und Gerhard Lauer (Mainz), die aus Sicht der Buchwissenschaft grundsätzliche Fragen stellen werden.

Im Kern der Konferenz steht die Differenzierung und Analyse netzliteraturwissenschaftlicher Medienformate mit qualitativen und quantitativen Methoden. Hierzu gibt es inzwischen eine Vielfalt von Ansätzen, die sich unter anderem mit der Twitteratur, Litblogs, der Fanfiction oder Computerspielen befassen und dabei die multimodale Gestaltung, die Performativität, die Intertextualität oder die Akteur-Netzwerk-Beziehungen untersuchen. Konstanze Marx (Greifswald) vertritt die Internetlinguistik und Elias Kreuzmair (Greifswald) das DFG-Projekt Schreibweisen der Gegenwart, weitere methodologische und inhaltliche Expertisen bringen Maren Conrad (Erlangen-Nürnberg), Lore Knapp (Bielefeld), Julia Nantke (Hamburg) und Ann-Marie Riesner (Düsseldorf) ein.

Ein verwandter Forschungsbereich untersucht Literaturkritik und literarische Kommunikation in Sozialen Medien. Im Projekt Rez@Kultur haben sich Guido Graf, Anna Moskvina (Hildesheim) und Kristina Petzold (Bielefeld) eingehend mit der Digitalisierung kultureller Rezensionsprozesse befasst, Gunther Martens und Lore De Greve (Gent) erforschen die Online-Literaturkritik rund um den Ingeborg-Bachmann-Preis. Berenike Herrmann (Bielefeld), Thomas Messerli (Basel) und Simone Rebora (Bielefeld) präsentieren computationelle Analysen von Wertungspraktiken auf Lovelybooks.

Für solche Analysepraktiken ist die Archivierung von Netzliteratur und Forschungsdaten eine wichtige Voraussetzung. Dieser Herausforderung begegnen Claus-Michael Schlesinger, Gabriel Viehhauser (Stuttgart) und Mona Ulrich (Deutsches Literaturarchiv Marbach) im Rahmen ihres SDC4Lit-Projekts. Doch nicht nur die forschende Auseinandersetzung mit Literatur in Sozialen Medien ist innerhalb der Netzliteraturwissenschaft wichtig, sondern auch das Nachdenken über die Potenziale und Praktiken der Didaktik und Wissenschaftskommunikation einer vernetzten Literaturwissenschaft. Gunhild Berg (Halle) hat im Projekt Deutsch Didaktik Digital mitgearbeitet und forscht zu Fragen einer netzliteraturwissenschaftlichen Didaktik, Andrea Geier (Trier) stellt das Projekt #RelevanteLiteraturwissenschaft vor. Weitere Arbeitsbereiche wie die Digital Literacy oder die Netzkritik werden ebenfalls adressiert.

netzliteraturwissenschaft.net/NetzLW21_Konferenz

Schließlich gab es die Möglichkeit, einzelne Projekte kurz vorzustellen – Danke hierfür!

Alle weiteren Beiträge und Informationen zur NetzLW21 und der neuen Plattform gibt es hier: netzliteraturwissenschaft.net oder über Twitter.

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