Lesebiographie

Ein Garten für Stutzimutzi. Der Beginn meiner Leserkarriere wurde mit diesem kurzen, überaus entzückenden Kinderbuch eingeleitet. Doch gerade in diesem zarten Alter hatte ich noch keinen Sinn für stilles Dasitzen und sich in einem Buch versenken, somit blieb es lange Zeit das erste und einzige Buch, das mein Interesse solange fesseln konnte.
Erst mit 10 Jahren habe ich die Ruhe gefunden, um Spaß am Spiel der Phantasie und an stiller Zurückgezogenheit zu haben. Es reichte nur ein Buch meine Leseleidenschaft und meine Sucht nach mehr Geschichten zu entfachen. Die Ära der Wolfgang Hohlbein Romane – ein deutscher Autor, der Massen von fantastischen Jugendromanen in den 90er schrieb – begann. Obwohl ich zuvor nie verstehen konnte, warum Menschen sich stundenlang mit diesen mit Buchstaben vollgestopften, farblosen Büchern beschäftigen, versteckte ich mich nun mit einer Taschenlampe und meinem (von meinem gesparten Taschengeld gekauften) neuen Hohlbeinbuch in meinem Schrank. Ich verschlang jeden Roman, und da ich bald schneller las, als ich mir ein neues Buch leisten konnte, besuchte ich zum ersten Mal die provinziale Stadtbücherei meines Ortes, die leider mehr Koch- und Nähbücher als Literatur hatte.
Nach ein paar Monaten mussten wir in der Schule wie jeden Schulschluss einen frei wählbaren Workshop besuchen, und ich entschied mich in der Schulbibliothek auszuhelfen. Dass diese Entscheidung mich noch so nachhaltig beeinflussen sollte, habe ich mir in diesem Moment kaum gedacht. Doch als ich diese Schätze der Weltliteratur komprimiert in hohen Bücherregalen vor mir sah, den einzigartigen Geruch der alten Bücher roch und mich diese gespenstische, ehrfurchtsvolle Atmosphäre in den Räumen der Bibliothek in ihren Bann zog, wollte ich nicht mehr von dort fort. Ich bot meine Hilfe auch für das nächste Schuljahr an, die glücklicherweise sehr dringend gebraucht wurde, da die Bibliothek renoviert und die Kataloge digitalisiert wurden. Jede große Pause, in Freistunden und an manchen Nachmittagen arbeitete ich mich durch die großen Werke der Literatur, katalogisierte, ordnete und schlichtete nach. Ich kam das erste Mal in Kontakt mit Autoren wie Shakespeare, Ovid und vielen anderen mir fast göttergleichen, unerreichbaren Genies. Schon nach ein paar Monaten war ich Assistenzbibliothekarin und war für die Ausleihe eingeschult. Die Verantwortung und der Reiz der Bücher trieb mich voran, und bald übernahm ich als eigenständige Bibliothekarin einige Nachmittagsdienste zur Freude der Bibliotheksleiterin.
Bis zu meinem Wechsel in ein anderes Oberstufengymnasium waren meine immer größer werdende Hohlbein-Sammlung und die Bibliothek meine Zufluchtorte. Doch in den Stürmen der Pubertät veränderten sich meine Leseinteressen, und ich beendete den Dienst in der Schulbibliothek. Nun las ich angeregt durch meine engagierte Deutschprofessorin hauptsächlich Klassiker der deutschen Literatur. Auch wenn ich mich erst daran gewöhnen musste, dass nun nicht ich meine Lektüre auswählte, war es sehr spannend, nun nicht nur phantastische Welten zu erleben, sondern mit Konflikten, neuen Gedankengängen und mir fremden Weltanschauungen konfrontiert zu werden.
Nach der Matura wurde das Lesen aus Mangel an freier Zeit und zuviel Stress in der Arbeit zu einem Luxus, mit dem ich mich verwöhnte. Ich genoss es mich an einem ruhigen Feierabend in ein Buch zu versenken. Meine Lektüre war nun sehr weitgefächert und nach Stimmung selektiert. In meinem Bücherregal fand man nun neben der alten Hohlbein-Sammlung und Schullektüre, auch viele verschiedene Sachbücher (vor allem philosophische und naturwissenschaftliche Texte), diverse Trivialliteratur und etliche Schätze der Weltliteratur.
Wieder wechselte meine Lebenssituation und somit auch mein Leseverhalten. Ich machte meine Leidenschaft zum geschriebenen Wort zu meinem nächsten Lebensinhalt, und begann mein Komparatistikstudium. Meine Lektüre ist nun zielgerichteter und klassischer geworden. Außerdem „muss“ ich mich jetzt wieder mehr den Büchern zuwenden, in Bibliotheken stöbern und erweitere kontinuierlich meinen Zugang zu Texten und meinen Lesehorizont, was ich ohne das es mir wirklich bewusst war sehr vermisste in den Jahren nach meiner Schulzeit.
Die Frage „Was liest du am liebsten?“ bringt mich immer aus der Fassung, denn seit meiner jugendlichen Fantasy-Fixierung habe ich keine eindeutige Leseinteressen. Ich bin nach wie vor fasziniert von fremden Orten voll von Phantastik, doch liebe ich es neue und alte Schätze zu entdecken und lese mein Bücher fast etwas ohne Genreeinschränkungen aus. Anders als vor einigen Jahren habe ich nicht mehr den Drang jedes Buch zu Ende lesen zu müssen oder jedes Buch zu verschlingen. Ich bin wählerischer geworden, denn mir ist bewusst geworden: Meine Zeit ist zu knapp, um sie mit weniger fruchtbaren, schillernden Geschichten zu füllen.
Auch in Zukunft möchte ich mir die Freude an der Lektüre erhalten und mich weiterhin an dem Gedankengut der Autoren weiterentwickeln und inspirieren können.

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