Kriegerprinzessin: Sailor Moon

Vor zwei Jahrzehnten begann meine Faszination für Sailor Moon. Denn anders als all die Mädchen in den mir bekannten Kinderfilmen oder Büchern ist sie eine Kriegerinprinzessin!

Aber auch für diese Reihe ist sie etwas Besonderes. Da sie nicht wie die meisten Kriegerprinzessinnen eine selbstbewusste Frau ist, sondern allem voran ist sie ein 14-jähriges Mädchen voller Träume, Probleme und Freuden, die ich und viele Andere meiner Generation mit ihr teilten.

Royale Karriere

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Usagi Tsukino (beziehungsweise Serenity) legt einen grandiosen Lebenslauf vor: Von der Mondprinzessin zur Schülerin, die entdeckt, dass sie Sailor Moon ist, befördert zu Super Sailor Moon, später Eternal Sailor Moon und endlich Neo-Königin von Neo-Tokyo des Ancient Moon Kingdom.

Ihre eigentliche Abstammung lässt jedoch Fragen offen, denn in der Geschichte erscheint nur ihre Mutter Queen Serenity. Sie heißt nicht nur wie ihre Tochter, sondern sieht ihr auch extrem ähnlich, was im Fandom Spekulationen von Klone, jungfräulicher Gottesgeburt oder verbotener, tragischer Liebe hervorrief:

“I think Princess Serenity’s father is from another system, just as it is hinted Queen Serenity is from another system. I think Queen Serenity fell in love, she became pregnant just before something terrible happened, and Queen Serenity had to run away to another solar system. She then made a deal at the Galaxy Cauldron so that her daughter could share her star seed, and settled on the Moon.” (Ferris, 2016)

Diese zweifelhaften und gleichzeitig übernatürlichen Genealogien finden wir in nahezu allen religiösen und mythologischen Schriften, in welchen das königliche Privileg durch göttliche Abstammung gerechtfertigt wurde. Und auch Parallelen zu Kriegerprinzessinnen finden sich, denn auch Wonder Woman oder Xena hatten alleinerziehende Königsmütter und einen Gott als möglichen Vater.

Anfangs erfüllt die Mondprinzessin alle Klischées einer Damsel in Distress: Sie ist wunderschön, naiv, beschützt und tragisch verliebt… Als ihr Prinz gegen das „Böse“ kämpft und stirbt, nimmt auch sie sich aus Schmerz das Leben. Sie wird als normales Mädchen in Tokio wiedergeboren, und die royale Perfektion wird durch Realität ersetzt. Eingeführt als tolpatschige Heulsuse mit schlechten Noten und einem Faible für Jungs und Spielen in der Arkade wirkt sie wenig prinzessinnenhaft. So glaubt selbst ihre Mentorin, die Katze Luna, anfangs nicht, dass nicht sie die gesuchte Prinzessin sondern eher die schöne Rei. In den ersten Akten zeigt Luna Usagi, wie sie als Sailor Moon gegen Dämonen kämpft und Unschuldige beschützen kann. Die Normalität und das neugewonnene Selbstbewusstsein als Kriegerin lassen sie später auch als Prinzessin mit der Tradition brechen, wie sie selbst konstatiert: „Ich werde nie wieder die tragische Prinzessin sein!“ (Sailor Moon Crystal, Episode 9). Dieser Bruch mit der Opferprinzessin und die Findung ihrer neuen Identität als Kriegerprinzessin sind zentral und lösen den Konflikt, indem sie nun für ihr Glück selbst kämpft.

Mythos Dornröschen

„Selena kisses Endymion while he’s asleep“ Ceiling at Ny Carlsberg Glyptotek, Copenhagen.

Naoko Takeuchi, die Mangaka von Sailor Moon, arbeitete sehr intensiv mythologische Anspielungen ein, besonders welche rund um die griechische Mondgöttin Selene und ihren Menschenprinzen Endymion. Wie auch in den Sailor Moon Geschichten ist er in den griechischen Mythen der erste menschliche Prinz. Außerdem sind beide Endymionversionen von zweifelhafter Abstammung, der eine vermutlich unehelicher Sohn von Zeus und der andere Waise. In den meisten antiken Erzählungen verfällt der überaus schöne Prinz in den ewigen Schlaf der Unsterblichkeit, worauf seine Geliebte, die Mondgöttin Selene aka Diana aka Artemis oder Athena – oh göttlicher Paratext!!! Und ist es nicht auffällig, dass Sailor Moon in der englischen Übersetzung Serene heißt und ihre helfenden Mondkatzen Luna, Artemis und Diana sind?! – des Nachts an seiner Seite weilt und ihn küsst. Dies ist die tragische Liebe einer Mondgöttin zu ihrem unerreichbaren Menschenprinz.

Ähnlich trägt es sich auch im Manga zu: Serenity, Prinzessin des Moon Kingdom, verliert ihre durch göttliches Gesetz verbotene Liebe, den Erdenprinz Endymion. Reinkarniert als Sailor Moon und Tuxedo Mask (Sailor Earth?) finden sie wieder zusammen. Doch wird er entführt und ist wieder unerreichbar. Erst als Sailor Moon beschließt nicht mehr die tragische Prinzessin zu sein, rettet sie ihren Geliebten. Doch immer wieder stellen sich Träume, Besessenheit oder dornröschenhafter Schlaf zwischen die beiden. Anders als bei Fanthaghiró eilt nicht nur die Kriegerprinzessin ihrem Liebsten zur Hilfe, sondern sie wechseln sich immer wieder ab… Es wirkt daher wie eine modernere Partnerschaft, in der sich beide gegenseitig helfen, und es nicht einen Beschützer und ein Opfer gibt.

Am Ende bekommen Serenity und Endymion ihr Happy End. Im Gegensatz zu ihren griechischen Vorbildern, denn in den Mythen gibt es neben vielen unerfüllt-tragischen Varianten nur eine, in welcher die beiden zusammenfinden und 50 Töchter bekommen. Diese treten später als ihre jungfräulichen Mondpriesterinnen auf – Warte… 50 jungfräuliche Mondpriesterinnen… 5 Sailor Kriegerinnen in der Crystal Serie… brrr nein, lassen wir diese Spekulation!

Die Jungfrau und das Gender-Spiel

Der japanische Originaltitel 美少女戦士セーラームーン (zu deutsch: Schöne Mädchenkriegerin Matrosen Mond) enthält bereits die drei essentiellen Kriterien der Kriegerprinzessinnen: Schön, jung(fräulich) und kriegerisch. Diese Jungfräulichkeit ist ein relevanter Aspekt, der wie auch bei fast allen Kriegerprinzessinen in Verbindung mit übersinnlicher Kraft steht. Denn trotz Liebeleien bleiben die Sailor Kriegerinnen Singles. Abgesehen von Sailor Neptun und Sailor Uranus, die ihr Liebesglück in einer gemeinsamen Beziehung finden, und natürlich Sailor Moon und Prinz Endymion. Doch bekennt sie, dass sie seit ihrer Mutterschaft nicht mehr als Sailor Moon kämpft, sondern nur mehr unterstützend eingreift. Ihre Superpower der Liebe ist zwar durch ihre Rolle als Mutter, Ehefrau und Königin nicht geschwächt, doch kann sie diese nicht mehr direkt einsetzen. Ihre Passivität geht sogar soweit, dass sie in der Geschichte als Neo-Queen fast nur wie Schneewittchen im Kristallsarg schlummert.

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Nochmal zurück zu den schönen Mädchenkriegerinnen. Anders als viele der bereits beschriebenen Kriegerprinzessinnen schlüpfen sie nicht in die Rolle eines Mannes. Denn wie auch Wonder Woman erwecken sie mit „Moon Prism Power – Make Up“ gleichzeitig ihre kriegerische Stärke und weiblichen Vorzüge. Interessanter Weise verschwimmen bei vielen Sailor Kriegerinnen in ihrer zivilen Identität die Genderrollen und spielen sie offen mit ihrer Sexualität: Zum Beispiel erscheint Haruka im Anzug und die Mädchen umschwärmen sie. Im Vergleich zu anderen männlichen Protagonisten wirkt Haruka sogar äußerst maskulin.

Während in unserer westlichen Geschichte das Kampffeld von heterosexuellen Männern dominiert wird, bekämpfen die Sailor Kriegerinnen vor allem androgyne, homosexuelle oder transvestitische Gegner. Daraus sollte man meiner Meinung nach nicht schließen, dass Naoko Takeuchi eine homophobe Moral ausdrücken möchte, denn dafür sind die Bösewichte zu vielschichtig und ambivalent, und wird die Sexualität in der japanischen Version zu offen und wertfrei behandelt.

Girl-Power

Der Unterschied zu allen bisherigen Kriegerprinzessinnen ist das starke Identifikationspotenzial für Mädchen. Usagi ist eine lebensnahe, weinerliche Schülerin mit all den Problemen einer Jugendlichen. Sie leidet unter schlechten Noten, hat Liebeskummer und streitet mit ihrem kleinen Bruder. Auch ihre Freundinnen haben Familienprobleme, werden gemobbt oder stehen unter Leistungsdruck.

Die Entwicklung von Usagi ist die eines jungen Mädchens, das wächst und lernt in ihre eigene Kraft und Stärke zu vertrauen. Mehr als bei allen anderen Kriegerprinzessinnen geht es darum, Jugendlichen zu zeigen, dass sie durch Selbstvertrauen und ein gutes soziales Umfeld unbesiegbar sind und jede Herausforderung meistern können. So betont auch ihre Mutter:

Pretty Soldier Sailor Moon. Bd. 2, S. 169
Pretty Soldier Sailor Moon. Bd. 2, S. 169

Victoria Newsom legt die „hyperfemininity and youth“ als Inbegriff der „Girl Power“ aus. Doch bekommt bei ihr diese feministische Bewegung der 1990er und die Darstellung in Sailor Moon einen negativen Beigeschmack, denn sie reproduzieren mehr das traditionelle Frauen-/Mädchenbild anstatt alternative und individuelle Rollen zu schaffen.

Girl power characters borrow stereotypes from the seventies superheroines but with one major difference: rather than working and supporting a patriarchal system these girl power characters directly attack the system. However, the stereotypical body types and attitudes of femininity portrayed in the current images are not any less confining than in the seventies characters. (Newsom)

Während also Wonder Woman für das patriachale System (das amerikanische Militär) kämpfte, bekämpfe Sailor Moon dieses laut Newsom. Das ist meiner Meinung nach nur auf einer sehr abstrakten Ebene der Fall, und zwar wenn man die destruktive Machtergreifung als männliches Konzept sehe. Denn die einzelnen Gegner der Kriegerinnen repräsentieren kein klares patriachales System oder sind sogar dematerialisierte, ungeschlechtliche Wesen. Im Falle von Queen Beryl bekämpfen sie sogar ein Matriachat. Daher sehe ich viel mehr die Überwindung der eigenen Ängste und den Kampf für Gerechtigkeit als wichtiger. Ich stimme jedoch zu, dass die weiblichen Stereotypen trotz Transgender und spielerischen Umgang vor allem Usagi definieren:

Serena is generally afraid of fighting; only fighting when others are in danger, an example of her nurturing, hyperfeminine qualities. […] One of the major themes of the show is that Serena’s unparalleled ability to love is her true strength and the source of her power. She is the most powerful Scout but only when necessary. Serena must rely on the others to manage most of the fighting, but it is always Serena who defeats, converts or destroys the enemy. In the „final“ battle of each story arc, Serena must face the ultimate evil alone. Sailor Moon’s greatest powers are eventually revealed as related to her capacity to love, and through that love to heal. These traits are associated with traditional femininity. (Newsom)

Superkraft und Gadgets

Die Liebe als weibliche Lösung des Gewaltkreislaufs begegnete uns bereits bei vielen Kriegerprinzessinnen, aber keine setzt sie so konsequent ein. Dass die Liebe eine unzuverlässliche „Waffe“ ist, zeigt sich immer wieder, wenn die Quelle ihrer Kraft der Silberkristall, die materialisierte Liebe zwischen Mond und Erde, durch Zweifel, Verlust oder Ängste erlischt. Eine weitere Superkraft Sailor Moons ist healing power, metaphorisch gesehen das Licht des Mondes gegen die Dunkelheit. So befreit sie Unschuldige von bösen Geistern, reanimiert ihre Mitstreiterinnen und stellt letzlich wieder die Erde her. In finalen Kämpfen kommt es aus Freundschaft oder Liebe schnell zum Märtyrium. Alle (Kriegerinnen, Prinzen, Katzen, Töchter, Mütter, …) opfern sich immer wieder auf – doch natürlich nicht als Opferprinzessin sondern im Kampf!

Die übersinnlichen Kräfte der übrigen Sailor Scouts speisen sich aus vor allem aus den Elementarkräften: Wasser, Luft, Feuer, Blitz und spirituelle Geister.  Die Sailor Kriegerinnen vernichten zwar die Bösewichte im Namen der Liebe und Gerechtigkeit, aber ganz ohne Blut, dafür mit viel Disko- und Glimmereffekte. Bis auf Sailor Pluto gibt es auch keine Leichen, vielmehr zerstauben die Gegner, explodieren oder verwandeln sich.

Sehen wir uns zum Schluss noch die Gadgets, bzw. Waffen der Sailor Kriegerinnen an. Die meisten Gadgets sind ein Sammelsurium an sexuell-aufgeladenen Objekten, von Stäben zu Ketten. Doch besonders fielen mir die Anspielungen an Wonder Womans Outfit und natürlich an Xenas Chakram auf, was in Anbetracht der gemeinsamen Weiblichkeit als Superhelden-Identität und der ähnlichen königlich-göttlichen Abstimmung wunderbar passt.

Die Serie geht weiter mit Fantaghiró, Merida, Daenerys, Mulan, Xena, Brünhild, Leia, Wonder Woman, Granuaile, Khutulun, Éowyn, Mononoke und Athena!

Quellen:

Naoko Takeuchi: Pretty Soldier Sailor Moon. Kodansha, 1991 – 1997.
Sailor Moon. Toei Animation, 1992 -1993.
Sailor Moon Crystal. Toei Animation, 2014 – 2015.
Aaron J. Atsma: Endymion. In Theoi Project 2000 – 2017, theoi.com/Heros/Endymion.html
Amanda Ferris: 15 Mind-Blowing Sailor Moon Fan Theories That Will Make You Say, “Whoa”. 2016. thethings.com/15-mind-blowing-sailor-moon-fan-theories-that-will-make-you-say-whoa/
Victoria Newsom: Young Females as Super Heroes: Superheroines in the Animated Sailor Moon. In der “Girl Power” Ausgabe von  Femspec 5.2; femspec.org/samples/sailormoon.html

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