Es war einmal eine wunderschöne Prinzessin, die sich danach sehnte Großes zu vollbringen und einzig fürchtete eingesperrt zu sein. Als der König in den Krieg zog, verantwortete er ihr den Schutz des Volkes an, doch sie bat an seiner Seite kämpfen zu dürfen. Der Wunsch wurde ihr verwehrt. Dennoch zog sie in die Schlacht und stellte sich einem Gegner, dem die Tapfersten unterlagen. Als alle Gefahr gebannt, heiratete sie ihren Prinzen… und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.
Ist das nicht wunderbar? Dies ist die Geschichte Éowyns aus Lord of the Rings und sie klingt wie das Märchen einer Kriegerprinzessin! Doch im Detail verbergen sich Zweifel an dieser scheinbar positiven Entwicklung. Konnte Éowyn durch ihre Rebellion die patriarchalen Strukturen durchbrechen und ihr Glück finden? Und ist sie überhaupt eine wahrhafte Kriegerprinzessin?
Prinzessin im Gender-Käfig
Éowyn ist die Nichte des Königs von Rohan und unbestritten adelig. Auch wenn ihr Bruder in der Erbfolge vor ihr kommt, ist sie in der Verfilmung für kurze Zeit — als ihr Bruder verbannt wird — sogar die Thronfolgerin und agiert in Abwesenheit des Königs als solche. Als Lady of Rohan ist sie „the supreme woman at court and more than an archetypal, unnamed princess or quest damsel“ (Linton, 266). Dennoch wird sie prinzessinnenhaft als „fair“ beschrieben — folglich Objekt der Begierde — und heiratet letztlich standesgemäß und politisch vorteilhaft. Ihr Schicksal liegt in den Händen der Männer und im Gegensatz zu ihnen hat sie „neither rights nor freedoms, only duties“ (Harrison, S. 43). Diese Pflichten korrelieren mit „weiblichen“ Aufgaben in einer patriarchalen Gesellschaft: Sie pflegt ihren Onkel, kümmert sich um Heim und Hof und führt das Volk nach Helm’s Deep, eine Zuflucht die Dorota Filipczak mit womb vergleicht und darin sogar eine „symbolic reversal of childbirth imagery“ sieht (S. 408). So wundert es wenig, dass William Henry Harrison Éowyns Ausgangssituation als Gender-Käfig definiert, der ihre Bewegungsfreiheit einschränkt und folglich ihre Entwicklung im Gegensatz zu männlichen Protagonisten verhindert. Auch Éowyn selbst beschreibt ihre Umstände als cage:
Phoebe C. Linton fasst zusammen, dass „her activities so far have been defined predominantly by the limitations of a gender that require her not to act vocally, politically. or martially – despite her training.“ (S. 271) Éowyn wird folglich von allen als Prinzessin behandelt, obwohl sie als Kriegerin und Anführerin ausgebildet wurde, woraus nach Lynette R. Porter ein Konflikt der „mixed messages“ (S. 95) resultiert. Melanie A. Rawls differenziert dies genauer und analysiert Éowyns Entwicklung innerhalb eines Gender-Dualismus (siehe Abbildung). Zu Beginn ist Éowyns Umgebung ein „web of negative-feminine circumstances: confined to the house and tied to an uncle who has given over his masculine prerogatives.“ (S. 109)
Diese negativ-feminine Stimmung versucht sie durch positiv-feminine Aktionen zu kompensieren, doch als dies keinen Erfolg zeigt, zieht sie selbst in den Krieg und entflieht dem Käfig des traditionellen Rollenbildes. Dies ist wie bei den meisten Kriegerprinzessinnen außergewöhnlich. Denn auch wenn alle unter den Angriffen leiden, ist der Kampf ausschließlich Männern (… sowie männlichen Kindern, Alten und Bäumen) bestimmt, aber nicht Frauen oder Hobbits, den Minderheiten des Romans.
Harrison beschreibt das Anlegen der male armour als „literal cage to reflect her trapped condition“ (S. 29). Auch Rawls sieht darin eine maskuline Handlung, die „being only human, she overcompensates“ (S. 110) – die Begründung des „menschlichen Übertreibens“ kann ich nicht nachvollziehen, da Faramir oder Edomir ja auch Menschen sind und ihre Kriegshandlungen erfolgreich sind – und folglich negativ bewertet wird.
Auch wenn Éowyn – vor allem in der Verfilmung – sich in ihrer Rolle als Kriegerin gut behauptet, leidet sie – vor allem im Roman – durch ihre rebellischen Intentionen und wird letztlich tödlich verwundet, was in der Sekundärliteratur als das Scheitern ihres Rollentausches gedeutet wird, für mich eher wie eine Moral des Autors anmutet: Wer aus dem Käfig ausbricht, dem wird es nicht gut ergehen. Harrison geht sogar noch weiter und deutet ihren Sieg als …
… the most domestic task in warfare: she fights in defense of her fallen uncle. […] Just at this moment, Merry becomes fully aware of what is happening and of the need to defend Éowyn. „Pity filled his heart and great wonder… She should not die, so fair, so desperate! At least she should not die alone, unaided“ (RK 129). He the chivalrous male, must come to the maiden’s aid. […] Again, we see Éowyn on her knees, in a position of abjection before a powerful male figure. […] Tolkien appears to make intentional use of it to emphasize Éowyn’s weakness and her place as a woman. This is a tremendously vivid destruction of the mighty warrior princess. (S. 48)
Harrisons Bezeichnung des Beschützens als „most domestic task“ spielt auf einen besonderen Kriegerprinzessin-Konflikt an, den bereits Wonder Woman oder Xena zu lösen versuchen: Der inhärente Konflikt von Krieger (Angriff und Aggression) und Prinzessin (Liebe und Opfer) wird durch das passive Kämpfen, die Verteidigung, das Beschützen harmonisiert. Auch Éowyns Motive und Handlungen sind darauf ausgelegt, und selbst das Töten des super männlichen Antagonisten, der sich letztlich in Luft auflöst und somit den aggressiven Akt ohne Beweise belässt, bleibt ein Akt der Liebe zu ihrem Onkel, ihrem Volk. So behält sie in ihrer Rolle als „shieldmaiden“ ihre Weiblichkeit und wird ihre Strafe gemildert. Harrison sieht darin die Zerstörung der „mighty warrior princess“, doch würde sie sich ganz ihrer Männlichkeit hingeben wäre sie ja „nur“ eine Kriegerin.
Die Balance zwischen Kriegerin und Prinzessin scheint hergestellt, soweit so gut… Doch dann kommt Éowyns „Happy End“ und alles wird kompliziert. Sie wird von ihren kriegerischen Tendenzen „geheilt“ und kehrt zurück zur traditionellen Rolle als Ehefrau, Mutter, Heilerin und Prinzessin – bzw. in Rawls System zum Feminin-Positiven. Leslie A. Donovan sieht darin einen glücklichen Ausgang, da „Éowyn realizes a full human potential that joins both her masculine and feminine selves“ (S. 226). Weder Roman noch Film stellen jedoch dar, ob Éowyn ihre männlichen und weiblichen Attribute (Krieg und Liebe/Heilung) vereint. Tolkiens Protagonistin spricht lediglich ihre Entscheidung hin zu letzterem aus. Es gibt keine Indizien, dass sie weiterhin frei handeln und ihre „power“ oder gar ihre Kriegerfähigkeiten ausüben kann. Ist dies dann wirklich noch ein positives Ende? Oder doch einfach das Scheitern einer Rebellion gegen das Patriarchat Edoras‘ und Unterdrückung ihrer zu maskulinen Seite? Wäre es nicht erfüllender für sie gewesen, wenn sie wirklich beide Gender-Attribute weiterhin vereinen hätte können (was laut Rawls auch Tolkiens Ideal sei)? Sie hätte ihren Kriegerprinzesinnen-Status wie Merida behalten oder ebenbürtig ihren Mitstreitern als Amazonenkönigin (wie laut Harrison der Autor anfangs intendierte) regieren können.
Mit den Waffen einer (als Mann verkleideten) Frau
Während in den Filmen Éowyn nur ihrem Endgegner als Frau unkenntlich entgegen tritt, reitet sie in Tolkiens Geschichte unter männlicher Identität in den Krieg. Cross-Dressing bietet vielen Kriegerprinzessinnen die Möglichkeit für etwas zu kämpfen, was ihnen als Frauen verwehrt geblieben wäre. Bei Éowyn ist der Rollentausch jedoch mehr als nur das Eröffnen neuer Möglichkeiten, es ist ihre Geheimwaffe gegen Nazgûl, ein „seemingly insurmountable foe, mounted on a ‚creature of an older world,‘ and having already killed Rohan’s king (V.6.840)“ (Linton S. 274). Wie das? Dafür gibt es mehrere Theorien.
Zuerst mal zur Geschichte: Éowyn kämpft im Schlachtgetümmel gegen den unbezwingbaren Nazgûl aka Ringwraith aka Black Captain, um den gefallenen König Théoden zu beschützen. Auf seine Drohungen und dem prophetischen Hinweis “No living man may hinder me!“ gibt sich die Prinzessin zu erkennen. Sie antwortet „But no living man am I! You look upon a woman. Éowyn I am, Éomund’s daughter.“ (LotR S. 874), tötet zuerst sein monströses Reittier und dann mit Hilfe von Merry, dem Hobbit, auch Nazgûl. Ist dies nur ein cooler Spruch oder die Bestimmung, dass nur eine Frau den Bösewicht bezwingen kann, den sogar die großen Helden fürchteten? Welchen Vorteil hat Éowyn gegenüber allen Männern? Ist es nur die Überraschung, eine Frau auf dem Schlachtfeld anzutreffen, und will er nicht gegen eine Frau kämpfen? Oder ist es doch ihre besondere Stärke gewonnen aus ihrer besonderen Situation als Kriegerprinzessin? Unterliegt er vielleicht gar ihren weiblichen „Attributen“ und ist geblendet von „her bright hair, released from its bonds, gleamed with pale gold upon her shoulders“ (LotR S. 874) etc. etc.?
Dorota Filipczak erkennt etliche Parallelen zwischen Éowyn und biblischen Heldinnen, die in höchster Not eingreifen und „defeating the enemy whose power greatly exceeds her own“. Die Gründe für deren Siege sind die Waffen der Frauen, das Verlagern des Kampfes ins Intime:
Like Sisera, the Nazgûl seems “bowed” before Éowyn, who smites him with her sword, piercing through the emptiness between the mantle and the crown which rolls off to indicate a symbolic decapitation of the bodiless black captain. The way she falls on him is an echo of an inversion of intimacy in the scenes involving female slayers from the Bible. (Filipczak S. 409)
Weniger sexuell sieht Rawls die Stärke Éowyns in ihrem Motiv der Liebe, „a feminine attribute, which motivates her and gives her the power to act – again, an interplay of positive masculine and feminine attributes“. Das Vereinen beider Geschlechterrollen verleiht Superkräfte, wie auch Leslie A. Donavan bei ihrem Vergleich mit den nordischen Walküren feststellt.
Der Vergleich mit Odins Walküren bringt ein weiteres Attribut hervor, das uns bei Wonder Woman, Xena oder Brünhild bereits begegnete, die Nähe zu Göttern: Wie Halbgötter sind sie Menschen mit übernatürlichen Fähigkeiten und stehen in meist konfliktreichen Diensten eines männlichen Gottes, sei es Odin oder Ares. Auch wenn Éowyn als einzige Menschenfrau unter den Hauptcharakteren auftritt, analysiert Donavan unter anderen ihre semi-divine Aspekte. Wäre sie den Walküren gleich eine Kriegsentscheiderin eines männlichen Gottes, wer wäre es? Wir hätten zum Beispiel Eru: „Eru is also portrayed as male, in a manner very reminiscent of Yahweh, of „God the Father“ in the Judeo-Christian tradition.“ (Crowe S. 138)
In ihrem Artikel „Power in Arda“ erläutert Edith L. Crowe die Machtverhältnisse in Mittelerde und stellt fest, dass diese stark religiös sind und „priest-kings (and occasionally queens) and their later descendants divine-right monarchs“ (S. 144) regieren. Und auch wenn Macht eine „strong female dimension“ habe und weibliche Werte sehr geschätzt werden, repräsentieren sie vermehrt männliche Regenten und Frauen, wie Éowyn, stehen ihnen (ähnlich der Walküren) zur Seite und zu Diensten. Daraus ergeben sich für mich zwei Thesen: Es braucht eine männliche Legitimation, damit eine Frau kämpfen darf. Und sich außerhalb seiner Gender-Rolle zu bewegen, ist so außergewöhnlich, dass es im positiven übernatürlich und im negativen Sinne unnatürlich ist.
Und was Gott gibt, nimmt er auch wieder… Denn als Éowyn ihre Aufgabe erfüllt hat, kehrt sie zur sehr menschlichen Frauenrolle zurück und verliert ihre Superpower. Anders als bei Brünhild oder Mulan scheint Éowyn jedoch mit dieser regressiven Entwicklung beziehungsweise dem Ablegen ihrer außergewöhnlichen bis übernatürlichen Stärke als Kriegerin glücklich.
Friedliche Foreign-War-Bride oder suizidales Dornröschen?
Kommen wir zur Lovestory, sofern es eine gibt… Dazu gibt es wieder mal entgegengesetzte Theorien, wobei in der Diskussion der Roman auf Grund seiner Details herangezogen wird. Nachdem Éowyn schwerverletzt und bewusstlos auf dem Schlachtfeld gefunden wird, heilt Aragorn sie im Houses of Healing. Sie erwacht und möchte den Kriegern in die finale Schlacht folgen, doch darf sie auf seine Anweisung hin das Haus nicht verlassen. Sie rebelliert und wünscht den Herrn des Hauses zu sprechen, so lernt sie Faramir kennen. Anstatt ihrem Wunsch entgegenzukommen, leistet er ihr Gesellschaft und schmeichelt ihr. Als er ihr seine Liebe gesteht, …
… the heart of Éowyn changed, or else at last she understood it. And suddenly her winter passed, and the sun shone on her.
‚I stand in Minas Anor, the Tower of the Sun,‘ she said; ‚and behold! the Shadow has departed! I will be a shield maiden no longer, nor vie with the great Riders, nor take joy only in the songs of slaying. I will be a healer, and love all things that grow and are not barren.‘ And again she looked at Faramir. ‚No longer do I desire to be a queen,‘ she said. (LotR S. 1000 – 1001)
Hier haben wir eine zweifache Dornröschen-Situation: Aragorn erweckt sie aus der vom Kampf mit dem Bösen resultierenden Bewusstlosigkeit – im übertragenen Sinne hebt er ihre Todesstrafe für den Verrat an ihrem König und ihre Rebellion auf, und Faramir befreit sie von ihrer unerfüllten Sehnsucht nach Aragorn, bzw. nach Märtyrertod und Macht.
Aus feministischer Perspektive ist es zwar immer noch schade, dass sie ihre Rebellion für die Liebe aufgibt, aber gegen ihr glückliches Ende spräche nichts. Die Happy-End-Verfechter sehen Éowyns Entscheidung, Faramir zu ehelichen, in einem romantischem Licht. Es sei eine frei gewählte Weiterentwicklung, Ende ihrer emotionalen Krise und Partnerschaft mit einem „equal partner“, „someone who has been belittled by his own father and protected by his older brother.“ (Porter, S. 94) Porter folgert weiter, dass in Friedenszeiten ein anderer Heldentyp gefordert werde und Éowyn sich zu diesem hinentwickle:
Éowyn’s ability to heal and to move toward the future is an important part of her heroic development. She is not merely a battle veteran or a hero. […] A hero who can only truly live in times of crisis, whose battle deeds are the only reason for life, and in whose reflected glory the future seems bleak is not a good role model for our time, or any other. However, a hero who finds the best way to serve others and can help people in whatever way is needed at the time is one worth emulation and greater respect.
Éowyn becomes this type of hero by knowing when she needs to fight in order to protect others and when she can best help others heal. Tolkien illustrates how Éowyn is able to move from wartime into peacetime and to continue to be a hero to her (new) people. (S. 106)
Die allgemeine Hinwendung zum Weiblichen, assoziiert mit Frieden und Geburt, statt Machtstreben und Kampf, hatten wir es bereits bei Wonder Woman. Mit Bezug auf reale Kriegsbeziehungen stellt Melissa A. Smith die Beziehung als erfolgreiches Beispiel einer foreign-war-bride dar: „Figuring so prominently in their society, Faramir and Éowyn‘s marriage, like many wartime marriages, is viewed as the positive unification of two cultures.“ (S. 215) Hier stellt sich mir natürlich die Frage, ob sie nicht auch ohne Mann eine Friedensrolle finden hätte können – zum Beispiel die einer Königin. Warum das Happy End eine eheliche Verbindung sein muss, wird nicht diskutiert. Warum sie sich für Faramir und nicht Aragorn entscheidet hingegen schon: Anders als Aragorn ist Faramir nicht nur ein Außenseiter und versteht ihre Konflikte, sondern ist vollkommen menschlich (was ja dann nicht equal, sondern unter ihrem halbgöttlichen Status liegt):
They are portrayed simply as a man and a woman, not as holders of a rank as is Éowyn’s burden in her first incarnation as a court lady. Moreover, Faramir insists three times that the transition to wife would be of her own free will, unlike in the medieval romances where the decision for Silence and Avenable to become wives is made by male characters. Éowyn’s relationship with Faramir is a reward rather than a sentence, as Faramir accepts her multi-dimensional nature. (Linton 277 – 278)
Im weiteren Sinne kann man auch einen Generationenwechsel erkennen: Das Mystisch-magische der Elfen (repräsentiert von Aragorn) weicht dem Christlich-menschlichen (Faramir). Éowyn steht als Halbgöttliche zwischen diesen beiden Welten und entscheidet sich für die Zukunft. Nach Donavan löst die Beziehung zu Faramir auch ihren Konflikt zwischen ihren individuellen Wünschen und ihrer politischen (Walküren-)Verpflichtung: „To live with Faramir in Ithilien is not a rejection but an extension of Rohan, for her cultural identity as a valkyrie is still authoritative, though it is now completed by her personal, emotional fulfillment as well. […] Éowyn’s future offers her ruling side by side with Faramir through her personal volition and with cultural purpose, each individual completing the other.“ (S. 251) Zum Schluss noch ein Argument für den Menschen, auf das mich eine Freundin brachte. Faramir ist (vor allem im Vergleich zu seinem Bruder) eher ein Dichter und Denker als Krieger, was wiederum mehr die weiblichen Attribute reflektiert. Faramir kann seine emotionale Seite ausleben und spricht offen über seine Gefühle. So ist es wahrscheinlicher, dass Eowyn an seiner Seite ihre Fähigkeiten ausleben als an Aragorns. Oder mehr noch, vielleicht ist er sogar froh, dass seine Frau sich Bereichen annimmt, die ihm weniger liegen.
Ihre unerfüllte Liebe zu Aragorn hatte auch etwas Positives. Sie hat ihre Entwicklung vorangetrieben, denn wie Harrison feststellt, repräsentiert er für sie „access to the road and battlefield, the chance to ride and fight as Éowyn was made to do“ (S. 51). Erst seine Verbote und Zurückweisungen machen sie zur hysterisch-labilen Kriegerin, während sie vorher eine frustrierte, einsame Prinzessin war.
Harrison vertritt die Gegenseite, dass Éowyns Heilung die erneute Kontrolle der Männer und ihre regressive Unterwerfung dem Patriarchat bedeute:
Hopelessness – the deadly sin of despair – has gripped Éowyn because she sees no possibility of a future that is an improvement upon the past. […] In LotR, Tolkien rejects the notion that humanity is building a better world or that earthly progress occurs. This makes the gendering of space a permanent condition of humanity. If we were to imagine a sequel to LotR, the rules concerning women and space would need to remain. […] Indeed, given a belief in history as defeat and decline, the consequences of violating these rules might need to become stronger, more brutal. Éowyn is not a marker in an improving world or even a hint for those whose progressive leanings needencouragement. Instead, she is a “Stop” sign. (S. 67 – 68)
Seine Argumentation ist plausibel: Denn nach ihrem Protest in Houses of Healing kam mir ihre Entscheidung zur Ehe auch überraschend und nicht nachvollziehbar vor. Reicht ein Liebesgeständnis, um eine Frau zu besänftigen, die sich gegen so viel männliche Ungerechtigkeit und Gewalt auflehnte? An diesem Punkt viel mir ein, wie jung Éowyn ist („not yet come to womanhood“ [S. 537]). Sie ist ein Mädchen voller Zweifel, das zwischen klarer Rationalität und überwältigender Emotionalität schwankt. Der Konflikt starker Gefühle gegenüber Vernunft ist wieder einer der Gender-Dualität, und es ist interessant, wie Tolkien sie bei Éowyn bewertet: In ihren klaren Momenten reflektiert sie Gender-Ungerechtigkeiten, hilft sie Außenseitern und ist sie die angesehene Anführerin. Wenn ihre Gefühle übernehmen, verfällt sie einer erniedrigenden Hysterie, wie gegenüber Aragorn, oder gar einem trotzigem Todeswunsch. Ist Éowyns Heilung der Schritt aus der Pubertät, in dem sie ihre Gefühle mit dem Verstand verbindet und von den Extremen abwendet? Und dies war höchste Zeit, denn ihr Leiden unter all diesen Widersprüchen und Zwängen erweckte Todeswünsche: „I looked for death in battle. But I have not died, and battle still goes on.“ (LotR S. 995) Scheint als hätten wir ein suizidales Dornröschen, das durch die Hand Aragorns und die Zuneigung Faramirs aus ihrem Schlaf erweckt werden musste.
Auch Filipczaks Vergleiche zu biblischen Heldinnen zeigen die Notwendigkeit, die soziale Gender-Norm wiederherzustellen: „Éowyn, like Jael and Judith, must go back to the female role and relinquish her unique status of a shieldmaiden.[…] Éowyn’s choice is consistent with the need to rebuild the country after Mordor’s invasion, heal the wounds and keep the earth’s garden and memory alive.“ (S. 413 – 414) Auch wenn Krieg Normen destabilisiert und außergewöhnliche Heldentaten fordert, ist Friede konservativ und stellt die neue oder alte Ordnung wieder her. Erkennt Éowyn also, dass sie mit ihrem Kampf nicht glücklich werden kann und sie sich fügen muss? Ihr Happy End kann also nur im Einklang mit der sozialen Norm stattfinden?
Stellt sich nur die Frage, wie diese neue Gesellschaft aussieht. Ist es ein Ende des Patriarchats (Generation Théoden) und können Frauen und Männer in Friede und Gleichheit glücklich werden? Gibt es einen Platz für Menschen außerhalb der traditionellen Genderrollen?
Die Serie geht weiter mit Fantaghiró, Merida, Daenerys, Mulan, Xena, Brünhild, Leia, Granuaile, Sailor Moon, Khutulun, Wonder Woman, Mononoke und Athena!
Quellen:
J.R.R. Tolkien: The Lord of the Rings. London: Guild Publishing, 1986. (original: 1954 – 1966)
Peter Jackson (dir): The Lord of the Rings. 2001 – 2003.
Dorota Filipczak: Éowyn and the Biblical Tradition of a Warrior Woman. In: Text Matters, 7.7, 2017. https://www.researchgate.net/publication/320845381_Eowyn_and_the_Biblical_Tradition_of_a_Warrior_Woman
William Henry Harrison: Éowyn the Unintended: The Caged Feminine and Gendered Space in The Lord of the Rings. University of British Columbia, 2013. https://open.library.ubc.ca/cIRcle/collections/ubctheses/24/items/1.0074293
Lynnette R. Porter: Unsung Heroes of the Lord of the Rings: From the Page to the Screen. Praeger, 2005.
In: Janet Brennan Croft & Leslie A. Donovan: Perilous and fair: women in the works and life of J.R.R. Tolkien. Mythopoeic Press, 2015.
—Melanie A. Rawls „The Feminine Principle in Tolkien“ S. 99 – 117.
—Nancy Enright „Tolkien‘s Females and the Defining of Power“ S. 118 – 135.
—Edith L. Crowe: „Power in Arda: Sources, Uses and Misuses“ 136 – 149.
—Melissa A. Smith „At Home and Abroad: Éowyn‘s Two-fold Figuring as War Bride in The Lord of the Rings“ S. 204 – 217.
—Leslie A. Donovan „The Valkyrie Reflex in J. R. R. Tolkien‘s The Lord of the Rings: Galadriel, Shelob, Éowyn, and Arwen“ S. 221 – 257.
—Phoebe C. Linton: „Speech and Silence in The Lord of the Rings: Medieval Romance and the Transitions of Éowyn“ S. 258 – 280.
Fotos:
Banner: Diadem von Miss Hemmert und Hintergrund von Daniel via Flickr