Kriegerprinzessin: Brünhild

Siegfried awakens Brünhild (1892) von Otto Donner von Richter.

„Siegfried weckt Brunhild“ (1892) von Otto Donner von Richter.

Erweckungsgeschichte und „Göttliche Kriegerin“

Alles begann laut Helreið Brynhildar (Teil der Liederedda) mit dem Verstoß einer Walküre. Sigrdrifa war ihr Name und sie widersetzte sich dem Befehl Odins. Ihre Strafe erinnert an Dornröschen: Schlafen umgeben von ewigen Feuer, bis ein Furchtloser sie weckt.

Somit enden die Ähnlichkeiten zum Märchen, denn Sigurd/Siegfried ist kein galanter Prinz, der sie voller Liebe wach küsst. Der epische Held zieht sein Schwert und „befreit“ sie damit von ihrer Brünne (Rüstung) – ob es sich dabei um eine sexuelle Annäherung oder gar Vergewaltigung handelt? Auszuschließen wäre es nicht, aber dazu später mehr – jedenfalls „da erwachte sie und nannte sich Hilde“ (Snorri Edda, 310).

Hilde bedeutet Kämpferin und folglich wird sie von nun an in beiden Fassungen Brünhild/Brynhild also  „in Brünne gekleidete Kämpferin“ genannt. Ihre Kriegerqualitäten werden zwar nie ausführlich geschildert, doch als Walküre kann man sie voraussetzen und im späteren Verlauf werden diese noch zentral. (Ich muss sofort dabei an die kriegerischen Walküren aus Xena, die ja Gabrielle aus dem Schlaf im Feuerkreis wach küsst, denken…)

"Brünhild" (1897) von Gaston Bussière

„Brynhild“ (1897) von Gaston Bussière

Verlobung und Liebesbekundungen

Wieder zurück zu Sigrdrifa/Brünhild und Sigrud/Siegfried – in der Snorra Edda reitet der Held wieder weiter. Doch in der Liederedda schwören sich die beiden ewige Liebe und in der Völsungasaga wird der Bund mit der Zeugung einer Tochter besiegelt. Ihre Namen verweisen bereits auf ihr verbindendes Element: Sigrdrifa ist die „Siegbringerin“, da sie gegen Odins Befehl einem Helden zu Sieg verholfen hat. Sigurd bzw. Sigurður bedeutet hingegen „Schicksalhafter Sieger“ und als Held mittelalterlicher Manier (Drachen töten und so), wäre die Verbindung zu einer mythischen Personifikation von Sieg und Krieg „the perfect match“.

In manchen Überlieferungen wird die Vorgeschichte ihrer Herkunft und Verlobung ausgespart. Zum Beispiel in der Nibelungensaga wird sie als die schöne Königin von Island genannt und in der Thidrekssaga ist sie Burgherrin in Schwaben. So ist es nicht verwunderlich, wenn Erwin Martin Brünhild vermenschlicht:

Sie ist am Anfang eine irdische Frau, die aber schicksalhaft herausgehoben ist aus der Welt des Normalen und Durchschnittlichen und deshalb einem männlichen Partner zugeordnet ist, der ebenfalls das Normalmaß überragt. (Martin)

Überlistung und Treuebruch

Ob Walküre oder Königin, Verlobung oder unromantische Heldentat, in einem sind sich alle Überlieferungen einig:

Sigurd/Siegfried heiratet nicht sie sondern Gudrun/Kriemhild und wirbt für seinen Schwager Gunnar/Gunther um Brünhild, „Schönste aller Frauen“. (Gründe werden bis auf die Völsungasaga, in der Sigurd durch einen Trank von Kriemhild Mutter die Liebe zur Verlobten vergisst, verschwiegen.) Das Werben um Brünhild ist jedoch eine Herausforderung an sich, die Gunnar nur mit der Hilfe Sigurds bewältigen kann.

Im Nibelungenlied gibt sich die Brunhild nur einem Mann hin und zwar dem, der sie in drei Kampfspielen besiegen kann. Da die Vorgeschichte von der Walkürenherkunft und dem Erwecken fehlen, werden ihre übernatürliche Kampfkraft mit Aussagen wie der von Hagen entmystifiziert: „Die Frau, um deren Minne Ihr werbt, die ist die Braut des Teufels – des tiuveles wîp“ (438) Besonders diese christliche Zuschreibung und die auch spätere Verbindung zu Ninive, dem biblischen Zentrum heidnischer Macht und Überheblichkeit, sind eine bemerkenswerte Veränderung. Statt göttlicher Herkunft und magischen Elementen wird Brunhild als Personifikation des Heidentums verteufelt und vom christlichen Helden überwältigt.

Im Norden hielten sich die alten Götter länger in der Phantasie der Sänger, daher blieben nicht nur die Vorgeschichte, sondern auch die magische Komponente um das Werben der Braut. In der Snorra Edda wird der Feuerkreis aus der Liederedda zum Hindernis, das Sigurd in der Gestalt Gunnars überwindet.  Die Hochzeitsnacht verbringen sie dann mit seinem Schwert zwischen ihnen. Auch die Liederedda und Völsungasaga erzählen von diesen keuschen Nächten. Und wieder stellt sich die Frage nach der sexuellen Beziehung zwischen den beiden und, ob das Schwert als Symbol für Phallus, Zurückhaltung oder gar Gewalt zu sehen ist. In einer Sage, die von männlicher Lust und gewalttätiger Dominanz geprägt ist, wäre selbst eine Vergewaltigung nicht abzuwenden. Näheres zur Erotik im Nibelungenlied von Ellen Bender (http://nibelungenlied-gesellschaft.de/03_beitrag/bender/fs03_bend.html). Einzig die Thidrekssaga ist frei von Magie und List, denn hier wirbt er offen und ohne Werbungsbetrug.

Ursula Schulze interpretiert die Überwältigung Brunhilds im Nibelungenlied als übertragener Amazonen-Mythos. Das exotische Kriegerinnenvolk am Rande der bewohnten Welt war bekannt durch Schreckensgeschichten von Reisenden. Auch Brunhild wohnt über sê. Ihre bedrohliche Stärke und der Umstand, dass sie ihre unterlegenen Bewerber tötet, entsprechen dem damals herrschenden Bild von Amazonen.

Brünhild beobachtet Gunther, Johann Heinrich Füssli, 1807

„Brunhild beobachtet Gunther“ (1807) von Johann Heinrich Füssli

Bilder einer königlichen Ehe: Entmachtung und Zweifel

Die Ehe mit einer Ex-Walküre oder übernatürlich starken und freien Königin erweist sich für den Schwächling Gunther als schwierig: Im Nibelungenlied beginnt sie die List der Männer zu durchschauen und verwehrt sich ihrem Ehemann, bis er ihr die Wahrheit sage. Wieder sucht er Hilfe bei Siegfried, der, durch die Tarnkappe unsichtbar, Brünhild im Ehebett niederringt. Dann tauschen Gunther und Siegfried die Plätze und Gunther vollzieht die Ehe. Durch den Verlust der Jungfräulichkeit verliert sie ihre magischen Kräfte.

In der Thidrekssaga führt sogar Sigfried die Defloration Brünhilds aus. Auch in anderen Versionen nennt Gudrun/Kriemhild sie später die Nebenbuhlerin ihres Mannes, was die vielen Keuschheitsgelöbnisse des listigen Sigfrieds Lügen strafen würde und die etlichen Anspielungen bestätigen würde. Unabhängig davon ist klar, dass Brünhild betrogen wurde: In der Liederedda, Völsungasaga und Thidrekssaga wird die Verlobung durch Sigfried gebrochen. Dann wenden in allen Versionen (außer der Thidrekssaga) Gunther und Siegfried List an bei der Werbung um ihre Hand. Letztlich wird sie im Nibelungenlied und in der Thidrekssaga ihrer Macht beraubt.

Nach Martin besteht ihre Tragik vor allem darin, dass die anfängliche Vereinigung der beiden Außerordentlichen durch die Abtrünnigkeit des männlichen Partners durchbrochen wurde:

Dabei handelt es sich nicht um einen einfachen Treubruch, eine bloße Abkehr des Mannes wegen einer anderen Frau. Es geschieht das Ungeheuerliche, dass hinter ihrem Rücken ein Tauschgeschäft durchgeführt wird, bei dem der Einmaligen, Besonderen ein Unwürdiger aus der Normalwelt untergeschoben wird, und zwar mit Hilfe des treulosen Partners, der bei diesem Betrug als Mittel gerade die außerordentliche Kraft einsetzt, die ihn seiner schicksalsbestimmten Partnerin würdig macht. (…) Nicht der Ebenbürtige hat sie durch Entjungferung geschwächt, sondern ein Schwächling hat ihr die Urkraft genommen. (Martin)

Schulze folgert hingegen, dass die Jungfräulichkeit das Geheimnis der Amazonen Überlegenheit ist. Sie widerstrebe jeglicher Vereinigung, auch der mit Siegfried. Daher ginge es ihr nicht darum, die Wahrheit herauszufinden sondern die Herrschaft des Mannes zu durchbrechen.

Brünhild

Kristanna Loken als Brunhilde aus „Ring of the Nibelungs“, 2004.

Zickenkrieg und Bestätigung

In allen Varianten folgt der Streit mit Gudrun/Kriemhild und die Bestätigung des Betrugs. Wiederum wird die Szene im Nibelungenlied christianisiert und politisch aufgeladen, da der Streit öffentlich vor einem Gotteshaus stattfindet.

Gudrun ist jedoch mehr als nur die Überbringerin der Wahrheit und Frau des ihr zustehenden Mannes, sie ist mehr gesellschaftlich und religiöses Gegenkonzept zu ihrer archaisch-mythologischen Funktion. Sie ist das höfische Ideal ihrer Zeit, um die man nicht kämpft sondern politisiert und in Minne-Manier wirbt. Sie ist der patriarchalen Herrschaftsordnung untergeordnet, während Brünhild nur das Prinzip des Stärkeren akzeptiert.

Ihr entspricht auch die Einstellung Siegfrieds, der seinem Kampf im Bett gegen Brünhild gesellschaftsrelevante, gleichsam mythische Dimensionen gibt und diesen Kampf als Kampf des Mannes gegen die Frau schlechthin sieht (Strophe 670 in Hs. B): „O weh“, dachte der Held, „wenn ich jetzt durch eine Jungfrau das Leben verliere, dann dürfen alle Frauen von jetzt an in alle Zukunft gegen ihren Mann aufmüpfig sein, auch eine, die es sonst nie tun würde.“ (Brünhild Eintrag der Wikipedia)

Rache und Freitod

Das letzte Aufbäumen der Brünhild besteht nur mehr indirekt im Anstacheln der Männer zum Mord an Siegfried. Zuletzt wählt sie in der Liederedda, Snorra Edda und Völsungasaga begeht Brünhild Selbstmord – aus Liebe zum Betrüger Siegfried, Scham oder als letzte Konsequenz ihrer Entmachtung?  Einen weiteren Grund liefert Felix Genzmer im Kommentar zur Edda Fassung: „Der Freitod ist das Gegengewicht zu der Rachetat, womit Brynhild den herrlichsten Helden vernichtet hat, zugleich das Ende eines Lebens, das sie, unwissentlich eidbrüchig, an der Seite des Unwürdigen geführt hat. Der jüngere Gedanke, dass Brynhild Sigurd liebt und mit ihm ins Jenseits einziehen will, ist von unserem Liede fernzuhalten.“ Meiner Meinung nach waren die Unerträglichkeit ein Leben mit einem Unwürdigen zu führen und die Entehrung wohl eher Grund zum Selbstmord durch die Klinge.

Doch dieser Sieg des Patriarchats ist kein wahrer Sieg, er wurde nur mit Magie, Betrug und List errungen. Daher währt er auch nicht und letztlich bezahlen die Männer mit ihrem Leben.

Der Kampf der Geschlechter ist ein tödlicher. Und Brünhild, die heidnische Kriegerprinzessin, wurde zwar vom Betrug und der List der Vertreter des Patriarchats, der höfischen Sitte und dem Christentum bezwungen. Doch ist ihre Rache fatal und ihre Werte (Wahrhaftigkeit, Treue, Stärke und Emanzipation) bleiben letztlich unangetastet von der Tragik der Geschehnisse.

Die Serie geht weiter mit FantaghiróMeridaDaenerysMulan, Xena, Leia, AthenaGranuaileSailor MoonKhutulunZelda, ÉowynMononoke, Fiona und Wonder Woman!

Quellen:

Sigrdrîfumâl und Helreidh Brynhildar (Liederedda). J.G.Cotta, 1876 (1270?).
Aus der Skala (Snorra Edda). Snorri Sturlusen. J.G.Clotta, 1876 (1220?). http://de.wikisource.org/wiki/Edda/Snorra-Edda/Aus_der_Skalda
Die Saga von den Völsungen, in: Thule – Altnordische Dichtungen und Prosa, Band 21 – Isländische Heldenromane. http://www.manfrieds-trelleborg.de/viewpage.php?page_id=222
Thidreksage. Wikipedia, Stand 2015 http://de.wikipedia.org/wiki/Thidrekssaga

Das Nibelungenlied. Ursula Schulze. Reclam, 1997.
Brunhild – die Frau aus einer anderen Welt. Erwin Martin. In: Nibelungenlied-Gesellschaft, 2004 http://nibelungenlied-gesellschaft.de/03_beitrag/martin/fs04_mart.html
Die Ehen im Nibelungenlied – Erotik und Politik. Ellen Bender. In: Nibelungenlied-Gesellschaft. 2003 http://nibelungenlied-gesellschaft.de/03_beitrag/bender/fs03_bend.html
Brünhild. Wikipedia, Stand 2015. http://de.wikipedia.org/wiki/Brünhild

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