Intertextualität oder Plagiat?

godMein Vortrag am 10.12.2009 in VO Geistiges Eigentum (Prof. Dr. Guido Kucsko):

Unter dem Titel „Der Tod des Autors“ ließ Roland Barthes 1968 den Autor zu Gunsten der Intertextualität sterben. Hierbei handelt es sich zwar um kein strafrechtliches Delikt, aber um eine Theorie, die das Urhebergesetz untergräbt und in Frage stellt.

Denn statt einem aus nicht fassbaren Quellen schöpfender Autor, steht der Text (ob künstlerisch oder pragmatisch, wie ein Gesetzestext) im Mittelpunkt. Selbst die Natur wird durch die Sprache zum Text (wie Johannes Auer in seinem animierten Apfelgedicht).

Jeder Text ist jedoch keine kreative Neuschöpfung, sondern ein Puzzle aus anderen, schon existenten Texten oder Sprachelementen: Nehmen wir z. B. der zuvor genannten Titel „Der Tod des Autors“. Diese Wortkombination enthält bereits eine Anspielung auf Nietzsches „Gott ist tot“ aus „Also sprach Zarathrustra“, könnte sich aber auch um den Klatsch von Barthes Nachbarin oder im romantischen Sinne geniale oder göttliche Eingebung handeln. Für die Intertextualität ist dies alles irrelevant.
Praktisch bestärkt wurde die Intertextualität durch die Sprachkombinatorik. Diese ermöglicht, dass digitale „Autoren“, wie Textprogramme oder Literaturgeneratoren, durch mathematische Kombination Texte schaffen können. So entstand auch die Idee, dass die sprachlichen Kombinationen endlich sind. Denn die Zusammensetzung der 26 Buchstaben lässt zwar eine unvorstellbar große, aber endliche Variation zu.  Somit auch Texte endlich und determiniert sind.

Besonders im digitalen Zeitalter finden sich kaum einzelne Autoren und erfährt das Urheberrecht seine Grenzen, während der Text zum alles verlinkenden Hypertext wird.

Fassen wir zusammen: Folglich wäre der Text nie neuartig, beeinflusst von anderen („eigentum“sfremden) Texten und keinem einzelnen Autorsubjekt zuzuordnen.

In der juristischen Praxis führte dies zu Fällen wie dem zwischen den österreichischen Schriftstellern Franzobel und Marietta Boening. In welchem Boening klagte, Franzobel habe Gedichte (unreferenziert) in seinem Buch abgedruckt. In einem „Gedankenexperiment“ erörtert die Klägerin die juristische Intertextualitätssituation ihres Falles. (Siehe weiters Marietta Boenings Essay zum Fall)

apple

Bilder:

The Inspiration of St. Matthew, Caravaggio (1602)

worm applepie for dohl, Johannes Auer (1997) http://auer.netzliteratur.net/worm/applepie.htm


3 Kommentare

  1. Marietta Böning

    Ich möchte kurz richtig stellen: Franzobel verteidigte sich n i c h t mit dem Argument der Intertextualität (und das steht auch in jenem Essay), sondern ich selbst setzte mich infolge mit dem Thema Intertextualität und Plagiat auseinander, weil ich eine Intertextualitätsverfechterin bin (von Franzobel weiß ich das nicht) und Franzobels Machwerk quasi amüsiert aus der Perspektive der Literatuwissenschaftlerin zu betrachten suchte. Ich selbst das Thema zum Intertextualitätsthema gemacht. Marietta Böning

    Antworten
  2. marietta böning

    Franzobel verteidigte sich nie mit Argumenten der Intertextualität. Das ist gänzlich falsch. Sondern ich bin diejenige, die mit dem Gedankenexperiment spielte, was hätte passieren können, hätte er das getan. Franzobel hat sich überhaupt nicht mit Argumenten verteidigt, er glaubte allerdings, dass er, weil es tausende Google-Einträge über ihn gebe und nur wenige über mich, plagiieren zu dürfen. Und das Gericht musste sich auch gar nicht entscheiden, denn Franzobel gestand seine Schuld ein, nachdem ihn seine Anwälte darüber aufgeklärt hatten, dass mehr Googleeinträge nichts mit dem Urheberrecht zu tun haben. Um Literaturtheorie ging es Franzobel bei der Sache nie, m i r ging es darum.

    Mit freundlichen Grüßen, Marietta Böning

    Antworten
    1. p.minks

      Vielen Dank für die Richtigstellung! Habe sofort den Post korrigiert.
      Freundliche Grüße zurück

      Antworten

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.