Revolution – Symbolik der Haare

Die Dualität von langen Haaren, die Freiheit symbolisieren, und kurze Haare als Sinnbild für Unterdrückung und rigide Systeme weiterführend, grenzen sich oft Revolutionäre über ihre Haarlänge von dem kritisierten System und die an dieses Angepassten ab. Die Irrationalität und meist auch starken Emotionen, die Auflehnung begleiten, sind genauso über die langen Haare ausgedrückt wie die diametral zur politischen oder sozialen Struktur stehende Natürlichkeit. Eines von unzähligen historischen Beispielen hierfür beschreibt Bryer die Frisuren des „holy land“ zur Zeit der römischen Imperialisierung, wo „we see men wearing long hair in defiance of the styles of their rulers, girls whose flowing hair was a symbol of virginity or temptation, and married woman with their head decently covered.“ (S. 29)
Die kurzhaarigen Gegenspieler müssen jedoch nicht nur ganze Gesellschaften oder Kulturen sein, sondern können auch rivalisierende Milieus oder einfach nur Generationen betreffen. Die jugendliche Abgrenzung gegenüber der älteren, als konservativ empfundenen Generation spiegelt sich vor allem in den weiblichen Frisurenkonventionen wider. So wurde ich schon oft damit konfrontiert, dass es sich ab einem gewissen Alter nicht mehr schicke die Haare lang zu tragen. Somit wären jedoch auch langhaarige Ältere auf eine gewisse Weise revolutionär. Dazu muss natürlich auch die große Ausnahme der kurzhaarigen Revolution genannt werden: der Feminismus. Hier überragt die Auflehnung gegen die Gender-spezifische Konvention, die Freiheitssymbolik. Der Rückschluss, dass langhaarige Männer folglich auch gegen ihrem Geschlecht zugeschriebenen Haarlänge widersprechen, intensiviert die historische Revolutionssymbolik.
Weniger über die Länge als über Schnitt, Farbe oder Form (z.B. Dreads) grenzen sich Gruppen, wie die Punks, ab. Ein historisch seltenes Beispiel von Bart als Revolutions-, bzw. Anpassungsindiz erschließt das Verbot für preußische Beamte einen Bart zu tragen. Dies ergab sich daraus, dass Mitte des 19. Jahrhunderts die Traditionalisten über ihren Bart identifizierten, und sie sich von diesen distanzieren mussten.
Seit der Moderne entzogen die zunehmende Individualisierung, die Globalisierung und die verschwimmenden Geschlechterbilder der Haarlänge nahezu ihre gesamte symbolische Aussagekraft. Vor allem die Symbolik der Revolution und Macht wird durch die kaum politisch oder gesellschaftlich positionierenden Frisurentrends aufgehoben. Wenn überhaupt, dann kann man nur noch ferne Analogien und Anspielungen auf vergangene Symboldualitäten erkennen, die jedoch nur von Wenigen historisch kontextualisiert werden können. So wird zum Beispiel die Abgrenzung der Generationen mehr von der Umsetzung von Trends als der Haarlänge definiert und der schnelle Wechsel der aktuellen Schnitte und Styles lässt sowohl Männer als auch Frauen häufiger ihre Haare radikal verändern.

Bryer, R. The History of Hair: Fashion and Fantasy Down the Ages. Philip Wilson Publishers. 2003.
Video: „Hair“ von Galt MacDermot; aus Hair (1979)

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